Letzter Tag

Seit Mitte September 2012 war diese Maßnahme bei diesem Bildungsträger – und ich bis auf ein Jahr Unterbrechung  dort als Dozentin. [Ergänzung: Seit Mitte Juni 2009 bei dem Bildungsträger als Dozentin; das eine Jahr Unterbrechung bei dieser Maßnahme war ich in einer Weiterbildungsmaßnahme als Fachdozentin mit „richtigen“ Fachthemen, bis diese eingestellt wurde.] Da ist es schon seltsam, wenn plötzlich der letzte Tag anbricht.
Soll ich traurig sein? Fluchen? Glücklich sein? Ich habe null Ahnung.

Eigentlich hing mir diese Maßnahme ohnehin am Hals heraus. Wenn man im sechs-Wochen-Abstand immer wieder den gleichen Kram erzählt, anfangs waren es sogar vier Wochen, kommt man sich schon spätestens nach einem halben Jahr vor, als ob man eine hängengebliebene Kassette ist. Man könnte mich mitten in der Nacht wecken und ich würde immer noch mein Unterrichtsprogramm abspulen können. Ich sollte nur nicht dann so zu leiern beginnen wie eine alte Kassette…

Zum Unterricht gehört zum Glück mehr als die pure Wissensvermittlung – oder auch zum Unglück, je nachdem, wie man es sieht und welche Leute / Gruppen man hat.
Sind da ein paar Leute, die wirklich etwas lernen wollen, Fragen stellen, bei denen das Thema an Tiefe gewinnt, dann liebe ich meinen Job.
Sind dort jedoch welche, die Bock auf nichts haben, die einfach nicht zu motivieren sind und die am besten nicht mal mit mir reden wollen, dann ziehen sich die Stunden und ich wünschte, der Arbeitstag würde nur aus Pausen bestehen. Sind dann noch aggressive Leute dabei, dann kann es passieren, dass ich meinen Job hasse. Ich kann ihn absolut nicht leiden, wenn ich von morgens bis mittags mit Krankheiten vollgeplappert werde, ständig Mitleid haben soll, vollgejammert werde, und so kein Unterricht möglich ist oder auch überhaupt keine Verbesserung, Änderung… All dieses Gejammer bringt erfahrungsgemäß ohnehin nichts, aber ist von manchen ein Hobby. Mir geht es hier auch nicht um Menschen, die Probleme haben, diese lösen wollen, WIRKLICH lösen wollen usw. Ich merke dann immer, wenn ich an solche Dauerjammerlappen gerate, dass ich mich wie ausgepumpt fühle, wenn ich dann endlich Feierabend habe. Kein Mensch verkraftet so viel Negatives auf Dauer.

Es gibt ein Zitat von Albert Einstein:

Halte dich von negativen Menschen fern. Sie haben ein Problem für jede Lösung.

Stimmt. Ist nur bescheuerterweise Teil meines „Jobs“, mich mit solchen Leuten zu beschäftigen, versuchen, sie aufzurichten, zu motivieren, sie… Naja, offiziell ja nicht, da bin ich „nur“ Lehrkraft, doch inoffiziell ist das sogar der überwiegende Teil.

Also… Bin ich traurig? Seltsamerweise nicht wirklich.
Einen Teil meiner Kollegen werde ich vermissen (und auch wenn ich freie Mitarbeiterin bin, sind das Kollegen!). Ich mag es, wenn da unter uns Dozenten die Sprüche fliegen, manchmal auch sowas kommt wie gestern von dem einen Kollegen: „Oh, heute steht Fachrechnen auf dem Unterrichtsplan. Flächen und Körper. Ich liebe Körper!“ Dieser Kollege hat ohnehin einen sehr trockenen und intelligenten Humor, so ganz nach meinem Geschmack. Der andere Kollege singt ständig (und gut!), was zu meiner Vorstellung eines Barden passt, der zu jedem Stichwort und zu jeder Gelegenheit ein Liedchen kennt.

Bin ich glücklich?
Das wäre nun übertrieben, aber seltsamerweise befreit, obwohl ich keine Ahnung habem wie es weitergeht. Bis jetzt habe ich nichts anderes in Aussicht.
Doch wieso befreit?
Nun, ich hätte einfach weiter gemacht, weiter und weiter, obwohl es mir längst keinen Spaß mehr machte. Ich brauche Abwechslung, etwas für die Weiterentwicklung… doch das war eher wie eine Dauerschleife. Ich hatte mich sogar zwischendurch woanders beworben, aber es ergab sich nichts. Im Grunde bin ich seit locker eineinhalb Jahren dauermüde. Nun gut. Jetzt bin ich draußen.

Dann machen wir doch einfach mal das Beste draus, oder? Ist schließlich nicht das erste Mal, dass sich etwas schlagartig ändert.

Grenzüberschreitungen von Teilnehmern

Im Moment habe ich nur weibliche Teilnehmer, obwohl es keine Maßnahme nur für Frauen ist. Sie stellten mir einige Fragen, an die viele gar nicht denken bei meinem „Berufsbild“,  was jedoch ebenfalls zum Alltag gehört.
Es ist Teil des Berufs als Dozentin in der Erwachsenenbildung, Schwerpunkt Maßnahmen oder Weiterbildungen in Zusammenarbeit mit der Agentur für Arbeit / dem Jobcenter, wenn man bei einem Bildungsträger ist und oftmals Langzeitarbeitslose zu den Teilnehmern gehören.

Das waren einige Fragen/Themen und hier kommen auch die Antworten. (Ich denke nicht, dass ich einen Leser zum Besuch meiner Maßnahme überreden kann mit dem Hinweis: „Da beantworte ich auch alles.“ Oder? *g*)

Hatten Sie schon mal Gruppen, in denen nur oder fast nur Männer waren?
Ja, öfters.
Auch Gruppen, bei denen viele um die 20 Jahre alt waren und sich die Kerle dementsprechend gegenseitig versuchten, mit Sprüchen zu imponieren.

Haben Sie schon Sprüche gehört, die unter die Gürtellinie gingen?
Ja, oft. Zart beseitet und auf den Mund gefallen darf frau auf gar keinen Fall sein. Männer ebenfalls nicht – aber als Frau kommen solche „Angriffe“ wirklich deutlich häufiger.
Natürlich sollten die Konter immer noch innerhalb von gewissen Grenzen sein, also auch wenn es unter die Gürtellinie ging, durch den Konter das wieder über die Gürtellinie zu heben, aber… Tja. Das geht nicht immer, aber massiv persönlich angreifen etc. ist tabu! Sprüche wie „Wer ständig drüber redet, kann am wenigsten mitreden.“ dagegen schon. Und auf das typische Ich-bin-so-toll-Gehabe mit Sprüchen wie „Dafür muss man Eier haben!“ braucht Frau nur darauf aufmerksam zu machen, dass sie so viele hat, dass sie sogar jeden Monat rauswerfen muss. Wie viele Monate hintereinander Mann das denn schafft…
Wobei es auch möglich ist, dass frau zwischendurch mal drauf aufmerksam macht, dass der Spruch jetzt wirklich einfach nur noch dämlich war und ein bisschen mehr Niveau und Einfallsreichtum erwartet wird. (Hehe.)

Wurden Sie schon angebaggert?
Jepp. Viel öfter als ich es früher mit 20 wurde, wenn ich wegging. Klar, da sind auch Möchtegern-Casanovas dabei, aber die baggern ohnehin jede Frau an. Erstaunlicher finde ich es, dass ich ebenso schon von ruhigeren angebaggert oder zumindest angeflirtet wurde. Ich glaube jedoch nicht, dass es am Alter, Aussehen oder sonstwas liegt, sondern eher daran, dass ich nunmal einfach jeden Tag während der Dauer der Maßnahme gesehen werde. Als Dozentin stehe ich da vorne im Mittelpunkt, auf dem Präsentierteller, und da ich scheinbar ganz umgänglich bin, passiert das halt.

Wurden Sie schon angefasst?
Leider ja. Demonstrativ die Hand, die da grabscht, nehmen und „wegwerfen“, dabei böse gucken, hilft bei den meisten Männern bereits. Oder auch sehr deutlich wegschieben.  Andere muss man drauf ansprechen. Ein Fall war wirklich massiv, da hatten dann ein männlicher Kollege, der Teilnehmer und ich ein Gespräch. Ergebnis: Selbst dann hat der Teilnehmer es nicht verstanden und tat so, als ob ich maßlos übertreibe. Das ist aber in über zehn Jahren nur ein einziges Mal vorgekommen und somit eine vollkommene Ausnahme.

Wurden Sie auch schon viel zu persönliche Sachen gefragt?
Ja, mehrmals, meistens sogar von Frauen. Ich mag es überhaupt nicht, wenn ich verhörmäßig gefragt werde,  ob ich verheiratet bin/liiert bin etc. und dann sofort die Frage nach den Kindern kommt und dann wieso ich keine habe blablabla und mir am besten noch erklärt wird, ohne auch nur eine Antwort abzuwarten, dass ich dadurch ja keine richtige Frau bin usw. Einmal habe ich einfach mal geantwortet, dass ich keine bekommen kann. Patsch! Stille!
Das ist mein Privatleben und das sollte ja wohl auch in diesem Beruf nicht im Mittelpunkt stehen, oder?

Selten, leider aber auch schon vorgekommen: Ein männlicher Teilnehmer versucht, meine sexuellen Vorlieben herauszufinden. Sadistin, immer nur Sadistin, ist ja wohl klar, oder? Deshalb habe ich doch diesen Job!

Hatten Sie schon aggressive Teilnehmer?
Mehrmals. Da reicht schon der Frust übers Jobcenter und dass an einer Maßnahme teilgenommen werden muss, das jemand aggressiv auftritt.  Und nein, nicht nur Männer kommen mit Wut im Bauch zu uns.

Mussten Sie schon jemand rauswerfen?
Ja, zum Beispiel weil andere Teilnehmer bedroht wurden oder ich massiv beleidigt wurde. Einmal folgte sogar ein Hausverbot.

Kurz:
Selbst wenn es manchmal so aussieht, als ob der Dozent in der Maßnahme einen ganz lockeren Job hat, so ganz einfach und locker ist es nicht. Außer natürlich, man gehört zu den Dozenten, die Teilnehmer meiden und sofort nach der Überprüfung der Anwesenheit verschwinden. Soll es ja auch etliche geben.

Und genau diejenigen meiner Teilnehmer, die zu mir meinten, sie könnten ganz easy meinen Job machen, waren diejenigen, bei denen ich mir sofort dachte: „Oh nein, das würde in einer Katastrophe enden.“
Fürs Eingeschnapptsein, selbst Aggressionen verteilen etc. ist dort kein Platz, genauso würden allzu nette Menschen, die immer auf Harmoniekurs sind, gnadenlos bei manchen Gruppen untergehen. Ein dickes Fell, sich oft nichts anmerken lassen, ordentlich „Frustrationstoleranz“, Schlagfertigkeit, ein gewisses Maß an Selbstbeherrschung, trotzdem auch Einfühlungsvermögen und notfalls klipp und klar in die Schranken weisen können, das wird benötigt. Das musste ich über Jahre lernen und ich bin immer noch nicht an dem Punkt, an dem ich behaupten würde: „Genau so geht’s.“ Für Patentrezepte sind Menschen zu unterschiedlich.

Hilfe, keiner versteht mich

Nö, damit meine ich nicht das mitleiderhaschende „Keiner versteht mich.“ und dergleichen, sondern das „Keiner versteht mich!“ im allerwortwörtlichsten Sinne: Keiner spricht meine Sprache.

Keine Seltenheit: Teilnehmer, die zwar in die Maßnahme geschickt werden, aber tausend mal besser in einem Sprachkurs aufgehoben wären.
Ganz nach dem Motto: „Wie geht es Ihnen?“ „Ja.“ „Ähm… Verstehen Sie mich?“ „Ja.“ „Ah, ich sehe es gerade… Sie nehmen bis 12 Uhr teil?“ „Ja.“ „Klappt das denn mit den Fahrzeiten?“ „Ja.“ „Wann fährt denn der nächste Bus?“ „Ja.“

Einmal war es besonders schön: 15 Teilnehmer, davon sprachen zwei fließend deutsch, der Rest extrem gebrochen oder gar nicht.
So, und wie gestaltet man da den Unterricht? Diese Frage kann einem kein Jobcentermitarbeiter beantworten, obwohl die Unterrichtspläne etc. mit dem Jobcenter abgeklärt wurden.
Im Grunde ist es nicht wirklich möglich.
Ab und an kann man die Teilnehmer bitten, die zum Beispiel gut die deutsche Sprache beherrschen, ob sie übersetzen können. Das funktioniert jedoch nicht immer, da nicht immer potentielle Übersetzer vorhanden sind, oder es sich herausstellt, dass der eine Herr zum Beispiel Armenier ist, der Russe zwar fleißig übersetzt – aber der Armenier auch ihn kaum versteht… So bereits geschehen, mehrmals sogar in verschiedenen Konstellationen mit den verschiedensten Sprachen.
Kurz so am Rande: Der armenische Herr kannte nur sehr wenige deutsche Wörter, aber solche wie „Luftschlangen“ waren dabei. Kinder und Kindergeburtstage bilden. *g*

Ich habe ohnehin in der Schule die vollkommen falschen Sprachen gelernt!
Die angebliche Weltsprache Englisch brauche ich im Arbeitsalltag gar nicht, obwohl mir zu Schulzeiten erklärt wurde, jeder würde Englisch beherrschen. Französisch? Kann man teilweise noch eher brauchen, darin war ich jedoch grottenschlecht.
Diese vier Sprachen sollte ein Dozent in der Erwachsenenbildung dringend können, wenn seine Teilnehmer Arbeitslose, vor allem Langzeitarbeitslose sind:

  • Russisch
  • Arabisch (da hilft es ab und an, wenn man Französisch spricht)
  • Türkisch
  • Italienisch (auch hilfreich bei Rumänen)

Andere Sprachen wie Spanisch, Portugiesisch, Polnisch, Tschechisch sind seltener vertreten. Wenn man noch eine fünfte hinzunehmen will, dann am besten Bulgarisch.
Interessant: Viele Menschen aus den asiatischen Ländern können gut genug Deutsch, so dass eine Zusammenarbeit möglich ist, ebenso viele Perser / Afghanen, wobei ich gerade die Perser als sehr wissbegierig kennengelernt habe.

So, nun kennen wir den Störfaktor: Ich habe die falschen Sprachen gelernt. Aber ich muss Unterricht geben… Ja, wie?
Mit einer ordentlichen Portion Humor, viel Reden mit Händen und Füßen, Gesichter ziehen, Pantomime, Strichmännchen an der Tafel… Das funktioniert lange nicht bei allen Themen, aber einige bekommt man tatsächlich sogar so „rüber“!

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