Stellenausschreibung / Realität

Gerade habe ich mir wieder diverse Stellenausschreibungen angesehen. Da kein passende in diesem Bereich in Bad Kreuznach oder Umgebung war, habe ich mir das angesehen, wofür ich mit dem Studium fertig sein sollte, in ganz Rheinland-Pfalz. Ich zitiere jetzt kein bestimmtes Stellenangebot, gehe aber auf verschiedene Punkte ein, die immer wieder dort auftauchen – egal ob ein Dozent, Fachreferent, Jobcoach, eine sozialpädagogische Kraft oder wie auch immer gesucht wird (die Bezeichnungen können variieren).

Grundsätzlich stellen sich alle Bildungsträger immer als absolute Menschenfreunde vor, die einfach nur zum Knutschen sind. Wie jede Firma nunmal – oder hat einer mal gelesen, dass sich eine Firma selbst schlecht macht? Selbst wenn die Mitarbeiter ständig wechseln, weil es einfach nur katastrophal dort ist, präsentieren sich Firmen gewöhnlich als das Gelbe vom Ei. Schriftlich sowieso, beim Vorstellungsgespräch erst recht. Also ich wüsste nicht, dass mir von dem einen Ex-Arbeitgeber mal gesagt wurde: „Schön, dass Sie da sind. Bei uns dürfen Sie jeden Monat dem Geld hinterher laufen!“
Im sozialen Bereich oder auch im Bildungsbereich stellen sich die Firmen grundsätzlich als extrem hilfsbereit dar, die auf die individuellen Bedürfnisse der Teilnehmer eingehen. Ich war schon selbst Teilnehmerin von solchen Maßnahmen – das hängt extrem von den jeweiligen Mitarbeitern ab und ob es überhaupt von der Geschäftsleitung unterstützt wird. Und selbstverständlich sind die Bildungsträger zertifiziert. Mich wundert es immer noch, dass dieser Umstand extra erwähnt wird – eine Zusammenarbeit unter anderem mit dem Jobcenter, eine Bewerbung um eine Maßnahme wäre ohne Zertifizierung nicht möglich.

Versprochen wird gerne die enge Zusammenarbeit mit dem Fallmanagement des Jobcenters (dabei ist das abhängig vom jeweiligen Jobcenter). Ziel ist es meist, die Teilnehmer durch ein „sozialintegratives“ (z. B. beibringen, dass „Ey Alter!“ keine höfliche Anrede ist), „arbeitsmarktorientieres“ und „gesundheitsorientiertes“ (ja, mittlerweile immer öfter – da werden sogar absolut Unwissende dazu gebracht, etwas über Ernährung beizubringen) Coaching mit „ganzheitlichem“ Ansatz in Ausbildung oder Arbeit zu integrieren. Gerne wird auch dieses Ganzheitliche mehrmals betont, doppelt und dreifach hält schließlich besser.

Doch was bedeutet das denn nun wirklich im Klartext?
Bei „sozialintegrativ“ habe ich bereits ein Beispiel genannt, darunter können jedoch auch solche Dinge fallen wie der Versuch, Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit beizubringen. Es geht auch nicht wirklich um das Soziale an sich – es interessiert absolut nicht, ob jemand ein guter Vater/eine gute Mutter/ ein guter Partner… ist. Es geht auch nicht darum, dass alle Beteiligten trotz verschiedener Ausgangslagen miteinander irgendetwas vereinbaren. Es geht einzig und alleine um die Arbeitswelt. Und dort heißt sozialintegrativ ganz einfach: Pass dich gefälligst an, stelle das Private zurück und schaff deine Arbeit zuverlässig.
Arbeitsmarktorientiert“ ist es meist dadurch, dass sich die Teilnehmer gefälligst bei Zeitarbeitsunternehmen melden sollen. Da es sich bei Langzeitarbeitslosen meistens um Menschen mit geringer formaler Bildung handelt (das drücke ich absichtlich so aus – ich habe zum Beispiel schon echte Matheasse erlebt, die keinen Schulabschluss hatten), die oft auch keine Berufsausbildung haben, führt der Weg leider meistens nicht mehr an den Zeitarbeitsfirmen vorbei. Zumindest in unserer Gegend sind sie fast schon so etwas wie die Gatekeeper – erst wenn man lange genug über Temporärarbeit in einem Unternehmen war, wird dort nachgedacht, ob man diese Person einstellt. Wenn überhaupt… Das gefällt natürlich vielen Teilnehmern nicht, denn viele von ihnen haben bereits eine beachtliche Karriere von einem befristeten Job zum nächsten, von einem Personaldienstleister zum nächsten hinter sich. Da es in einigen Maßnahmen, gerade wenn explizit darauf hingewiesen wird, dass die Leute in Arbeit kommen sollen, Vermittlungsquoten gibt, müssen diese Teilnehmer regelrecht weichgeklopft werden, es erneut über Zeitarbeit zu versuchen.
Und das viel zitierte „ganzheitlich„? Ist nicht medizinisch oder ernsthaft pädagogisch gemeint. Es geht beispielsweise nicht um das lernen mit allen Sinnen, es geht nicht darum, dass jemand wirklich zufrieden wird etc. Seien wir mal ehrlich – in diesem Umfeld interessiert so etwas doch kein Bisschen! Es ist einfach nur ein modisches Schlagwort, etwas, das toll klingt. Wird von der „Aktivierung und Kompetenzstärkung der Teilnehmenden“ gesprochen, dass man also die Stärken und Schwächen der Menschen herausfinden will, so wird gewöhnlich nicht nach Kreativität etc. gefragt. Meist zählt auch hier nur das, was beruflich verwertbar ist bzw. was als Hilfskraft brauchbar ist.

Insofern dürfte nun ganz klar sein, was hiermit gemeint ist, wenn das Aufgabengebiet so beschrieben wird:
• Förderung der Bereitschaft zur Aufnahme einer sozialversicherungspflichtigen, möglichst sogar existenzsichernden Erwerbstätigkeit, manchmal auch hübsch umschrieben als „Förderung der Eigenmotivation“
• individuelles Bewerbungs- und Jobcoaching
• aktive Kontaktaufnahme und -pflege zu Unternehmen in der Region
• Kontaktpflege und Beziehungsmanagement zum Auftraggeber (also meist bei solchen Maßnahmen zum Jobcenter)
• Administration und Dokumentation der Maßnahme vor Ort (jepp, das gehört noch dazu – schließlich wird mit Ämtern zusammengearbeitet und was nicht dokumentiert wurde, das gilt dann als „nicht erledigt“)

Gewünscht wird neben irgendwelchen Ausbildungen meist noch
• Berufserfahrung und dadurch Kontakte zu regionalen Netzwerkpartnern (=Arbeitgebern, Zeitarbeitsunternehmen…)
• Erfahrungen in der teilnehmerorientierten Gesprächsführung/Beratung oder im Coaching (=Breitlabern, sich z. B. doch bei dem Zeitarbeitsunternehmen zu melden)
• Kenntnisse in der Betreuung und Beratung von Fallmanagementkunden
• Hohe regionale Mobilitätsbereitschaft (Führerschein und PKW von Vorteil)
• Sehr gute Ausdrucksfähigkeit in Wort und Schrift; gute MS Office-Kenntnisse (*hust* Ich habe gerade die Frage meiner Kollegin im Kopf: „Und wie leite ich eine E-Mail weiter?“)
• kommunikativ, engagiert, teamfähig und mit viel Spaß an der Arbeit (morgen komm ich mit ’ner Clownsnase…)
• Eigeninitiative, Einfühlungsvermögen, ganzheitliches Denken (haha, immer wieder gerne), Zuverlässigkeit
• sehr oft: PKW-Führerschein, oft sogar ein eigener PKW, der dann dienstlich genutzt werden soll; also aufpassen, wenn da steht „hohe mobile Bereitschaft“!

Selbstverständlich, zumindest auf dem Papier, gibt es eine professionelle, methodische Einarbeitung in den Aufgabenbereich. In Realität sollte man auch bei Bildungsträgern damit rechnen, dass es wie in den meisten Firmen abläuft: friss oder stirb. Oder, wenn es wirklich freundlicher abläuft: „Da ist der Kollege, der arbeitet Sie ein.“ und dieser Kollege muss dann zusehen, wie er das neben seiner normalen Arbeit geregelt bekommt.
Ebenfalls gerne genannt: „Wir bieten Ihnen einen Arbeitsplatz, der die freie Entfaltung Ihrer Fähigkeiten, durch Raum für Flexibilität und Kreativität, ermöglicht.“ Allerdings fehlt hier ein Zusatz: „solange es im Rahmen von dem ist, wie wir es uns vorstellen.“

Im Gegenzug winkt dann eine Einstellung auf befristeter Basis, oft sogar eher auf Halbtagsbasis.

Ich weiß, das klingt alles eher missmutig. Um in diesem Bereich zu arbeiten, sollte man sich wirklich nicht an den Stellenausschreibungen und den tollen Punkten darin orientieren, sonst winkt schnell die Enttäuschung. Ich kann nur jedem empfehlen, zuerst mal reinzuschnuppern, ob das überhaupt der passende Bereich ist – und sich auch möglichst verschiedene Maßnahmen/Konzepte ansehen. Eine 50plus-Maßnahme oder eine speziell für Jugendliche und junge Erwachsene ist vollkommen anders als eine, in der auf Gedeih und Verderb vermittelt werden muss.
Hinzu kommt: Was will ich erreichen? Was ist mir wichtig? Viele verschiedene Menschen kennenlernen? Dann passt es. Dadurch ständig was anderes, immer wieder auch Probleme, die gelöst werden müssen (oft auch gelöst werden können)? Passt. Wenn es das Unterrichten selbst ist, so wie bei mir, dann kommt es auch extrem auf die Maßnahme an. In manchen werden echte Fachkenntnisse vermittelt, in anderen hingegen werden die Teilnehmer eher verwaltet.

Also besser erst sich selbst fragen, wieso dieser Bereich, es sich ansehen… und bitte, dieses „Ich will anderen helfen“ sofort aus dem Kopf schlagen, da ist ein Krankenhaus besser geeignet. Genau diese Leute, die dieses Argument nennen, geben am schnellsten auf, weil man in diesem Bereich etwas Entscheidendes im Hinterkopf haben muss: Gewöhnlich sind die Teilnehmer nicht freiwillig da. Ob sie Hilfe erwünschen und Hilfe annehmen, gerade wenn ihnen jemand „aufgezwungen“ wird, das haben sie selbst zu entscheiden! Es sind Erwachsene!

Grenzüberschreitungen von Teilnehmern

Im Moment habe ich nur weibliche Teilnehmer, obwohl es keine Maßnahme nur für Frauen ist. Sie stellten mir einige Fragen, an die viele gar nicht denken bei meinem „Berufsbild“,  was jedoch ebenfalls zum Alltag gehört.
Es ist Teil des Berufs als Dozentin in der Erwachsenenbildung, Schwerpunkt Maßnahmen oder Weiterbildungen in Zusammenarbeit mit der Agentur für Arbeit / dem Jobcenter, wenn man bei einem Bildungsträger ist und oftmals Langzeitarbeitslose zu den Teilnehmern gehören.

Das waren einige Fragen/Themen und hier kommen auch die Antworten. (Ich denke nicht, dass ich einen Leser zum Besuch meiner Maßnahme überreden kann mit dem Hinweis: „Da beantworte ich auch alles.“ Oder? *g*)

Hatten Sie schon mal Gruppen, in denen nur oder fast nur Männer waren?
Ja, öfters.
Auch Gruppen, bei denen viele um die 20 Jahre alt waren und sich die Kerle dementsprechend gegenseitig versuchten, mit Sprüchen zu imponieren.

Haben Sie schon Sprüche gehört, die unter die Gürtellinie gingen?
Ja, oft. Zart beseitet und auf den Mund gefallen darf frau auf gar keinen Fall sein. Männer ebenfalls nicht – aber als Frau kommen solche „Angriffe“ wirklich deutlich häufiger.
Natürlich sollten die Konter immer noch innerhalb von gewissen Grenzen sein, also auch wenn es unter die Gürtellinie ging, durch den Konter das wieder über die Gürtellinie zu heben, aber… Tja. Das geht nicht immer, aber massiv persönlich angreifen etc. ist tabu! Sprüche wie „Wer ständig drüber redet, kann am wenigsten mitreden.“ dagegen schon. Und auf das typische Ich-bin-so-toll-Gehabe mit Sprüchen wie „Dafür muss man Eier haben!“ braucht Frau nur darauf aufmerksam zu machen, dass sie so viele hat, dass sie sogar jeden Monat rauswerfen muss. Wie viele Monate hintereinander Mann das denn schafft…
Wobei es auch möglich ist, dass frau zwischendurch mal drauf aufmerksam macht, dass der Spruch jetzt wirklich einfach nur noch dämlich war und ein bisschen mehr Niveau und Einfallsreichtum erwartet wird. (Hehe.)

Wurden Sie schon angebaggert?
Jepp. Viel öfter als ich es früher mit 20 wurde, wenn ich wegging. Klar, da sind auch Möchtegern-Casanovas dabei, aber die baggern ohnehin jede Frau an. Erstaunlicher finde ich es, dass ich ebenso schon von ruhigeren angebaggert oder zumindest angeflirtet wurde. Ich glaube jedoch nicht, dass es am Alter, Aussehen oder sonstwas liegt, sondern eher daran, dass ich nunmal einfach jeden Tag während der Dauer der Maßnahme gesehen werde. Als Dozentin stehe ich da vorne im Mittelpunkt, auf dem Präsentierteller, und da ich scheinbar ganz umgänglich bin, passiert das halt.

Wurden Sie schon angefasst?
Leider ja. Demonstrativ die Hand, die da grabscht, nehmen und „wegwerfen“, dabei böse gucken, hilft bei den meisten Männern bereits. Oder auch sehr deutlich wegschieben.  Andere muss man drauf ansprechen. Ein Fall war wirklich massiv, da hatten dann ein männlicher Kollege, der Teilnehmer und ich ein Gespräch. Ergebnis: Selbst dann hat der Teilnehmer es nicht verstanden und tat so, als ob ich maßlos übertreibe. Das ist aber in über zehn Jahren nur ein einziges Mal vorgekommen und somit eine vollkommene Ausnahme.

Wurden Sie auch schon viel zu persönliche Sachen gefragt?
Ja, mehrmals, meistens sogar von Frauen. Ich mag es überhaupt nicht, wenn ich verhörmäßig gefragt werde,  ob ich verheiratet bin/liiert bin etc. und dann sofort die Frage nach den Kindern kommt und dann wieso ich keine habe blablabla und mir am besten noch erklärt wird, ohne auch nur eine Antwort abzuwarten, dass ich dadurch ja keine richtige Frau bin usw. Einmal habe ich einfach mal geantwortet, dass ich keine bekommen kann. Patsch! Stille!
Das ist mein Privatleben und das sollte ja wohl auch in diesem Beruf nicht im Mittelpunkt stehen, oder?

Selten, leider aber auch schon vorgekommen: Ein männlicher Teilnehmer versucht, meine sexuellen Vorlieben herauszufinden. Sadistin, immer nur Sadistin, ist ja wohl klar, oder? Deshalb habe ich doch diesen Job!

Hatten Sie schon aggressive Teilnehmer?
Mehrmals. Da reicht schon der Frust übers Jobcenter und dass an einer Maßnahme teilgenommen werden muss, das jemand aggressiv auftritt.  Und nein, nicht nur Männer kommen mit Wut im Bauch zu uns.

Mussten Sie schon jemand rauswerfen?
Ja, zum Beispiel weil andere Teilnehmer bedroht wurden oder ich massiv beleidigt wurde. Einmal folgte sogar ein Hausverbot.

Kurz:
Selbst wenn es manchmal so aussieht, als ob der Dozent in der Maßnahme einen ganz lockeren Job hat, so ganz einfach und locker ist es nicht. Außer natürlich, man gehört zu den Dozenten, die Teilnehmer meiden und sofort nach der Überprüfung der Anwesenheit verschwinden. Soll es ja auch etliche geben.

Und genau diejenigen meiner Teilnehmer, die zu mir meinten, sie könnten ganz easy meinen Job machen, waren diejenigen, bei denen ich mir sofort dachte: „Oh nein, das würde in einer Katastrophe enden.“
Fürs Eingeschnapptsein, selbst Aggressionen verteilen etc. ist dort kein Platz, genauso würden allzu nette Menschen, die immer auf Harmoniekurs sind, gnadenlos bei manchen Gruppen untergehen. Ein dickes Fell, sich oft nichts anmerken lassen, ordentlich „Frustrationstoleranz“, Schlagfertigkeit, ein gewisses Maß an Selbstbeherrschung, trotzdem auch Einfühlungsvermögen und notfalls klipp und klar in die Schranken weisen können, das wird benötigt. Das musste ich über Jahre lernen und ich bin immer noch nicht an dem Punkt, an dem ich behaupten würde: „Genau so geht’s.“ Für Patentrezepte sind Menschen zu unterschiedlich.