…aber eigentlich wird viel zu wenig darüber geschrieben und gesprochen: über die Krankheit Depression.
Nein, ich schreibe hier nicht von dem umgangssprachlichen „ey, ich bin gerade mal voll depressiv“, also keine vorübergehende Niedergeschlagenheit, sondern über die Krankheit.
Genau die, bei der so <ironie> tolle </ironie> Sprüche kommen wie „reiß dich mal zusammen“, „stell dich mal nicht so an“ und so weiter.
Genau die, bei der „Kopf hoch“, „nur du alleine bist für deine Stimmung zuständig“ und „tschakka, du musst es nur wollen“ das volle Gegenteil auslösen können, nämlich dass man sich als Vollversager fühlt.
Genau die, bei der Aufmunterungsversuche schnell darin enden, dass man lächelt, um dem Anderen ein gutes Gefühl zu geben, weil man sich sonst arschig fühlt, aber hinter der lächelnden Maske dann am liebsten erst recht losheulen würde. Wenn heulen noch geht.
Genau die, bei der die meisten davon ausgehen, dass das nur Schwachen passieren kann. Oder Arbeitslose, Leute, die nichts „auf die Rehe“ kriegen und so weiter.
Genau die, bei der viele denken, dafür müsste einer schon traumatisiert sein oder sonstwas erlebt haben oder gerade wäre was Schlimmes passiert usw.
Genau die, bei der viele denken, das wäre nur eine Ausrede.
Genau die Krankheit, die mit dem Suizid enden kann. Zur Suizidrate erklärt die Wikipedia nach der kurzen Angabe, dass es eine hohe Dunkelziffer gibt: „In Deutschland wird bei 1,1 % aller Todesfälle Suizid als Ursache amtlich festgestellt. Todesfälle mit äußerer Ursache werden zu 31 % als Suizid, zu 60 % als Unfall klassifiziert, in den Unfällen enthalten: Stürze 25 % und 17 % Verkehrstod.“
Wieso werden Verkehrstote ernster genommen? Weshalb wird eine Krankheit, die in die Sucht und / oder zum Freitod führen kann, so lächerlich gemacht?
Wer würde einen Menschen, dessen Bein eingegipst ist, auffordern, jetzt sofort einen Marathon zu laufen? Keiner? Aber zusammenreißen bei einer Depression?
Ja, es ist sehr schwer nachvollziehbar, was da eigentlich vor sich geht. Das geht einem depressiven Menschen oft ebenso – es ist einfach nicht wirklich erklärbar. Und wenn es endlich vorbei ist, teilweise auch nicht mehr für einen selbst nachvollziehbar. Es ist auch schwer begreifbar zu machen, dass dieses „melde dich, wenn was ist“, was ja wirklich lieb gemeint ist, oft einfach nicht durchführbar ist.
Warum ich das weiß? Weil ich immer noch mit dieser Krankheit kämpfe. Und trotzdem kann ich nicht für alle depressive Menschen sprechen, da jede Depression anders ist.
So geht es mir zum Teil:
Bei einer leichten bis mittleren Episode versuche ich mir einzureden, dass ich es wegschlafen kann / mich besser ernähren muss/ mehr bewegen muss usw. Tschakka, tolle Sprüche klatsche ich mir selbst um die Ohren. Blooooß nicht hängen lassen. Zwischendurch könnte ich nur noch rumheulen, aber heyyyyyy, jedem geht’s mal schlecht. Das geht schon alles, man muss nur fest dran glauben… Ab und zu hält schließlich das Grübelkarussell an und guck mal, da scheint doch die Sonne. Ah was, ich fühle mich mies und ich bin nicht gut genug? Dann muss ich mich halt mehr anstrengen! Ich will nicht mehr? Nix da, Pflicht erfüllen!
Bei den Nebensymtomen einer Depression kann ein verminderter Appetit vorkommen. Nöööö, bei mir endet das eher in einem „heute fresse ich mich dumm und dämlich bis mir schlecht wird“, verminderter Appetit ist seltener.
Von außen sieht alles in Ordnung aus: Ich gehe arbeiten, die ganze Zeit habe ich nebenberuflich studiert und nach der 1,0 in der Verteidigung meiner Bacherlorarbeit steht da als Endnote eine 1,4. Ist doch alles wunderbar, oder etwa nicht? Ich habe mein Wohnzimmer renoviert, jetzt ist alles richtig hübsch. Toll, oder?
Nach außen ja. Innerlich nein.
Ja, ich hatte kurz Auftrieb, ja, ich habe mein Wohnzimmer renoviert. Ja, ich dachte, jetzt ginge es mir besser. Aber nach dem Tief davor, dem „Normal“ bis etwas hoch für ungefähr eine Woche, ging es noch tiefer runter. So tief, dass ich Pläne für meinen Abgang schmiedete, mir Listen schrieb, was noch zu erledigen ist, usw.
Warum?
Keine Ahnung.
Vielleicht bin ich vorher zu oft über meine Grenzen gegangen, habe zu oft alles beiseite geschoben, was mir eigentlich Spaß macht, weil ich „funktionieren musste“, weil ich meine Pflichten erfüllen musste – und im Grunde nur noch müde war. Im Grunde in allem gar keinen Sinn mehr sah (und sehe). Ich weiß es nicht. Vermutlich ist es eine wilde Mischung aus allem und vielem.
Im Moment bin ich in der Rheinhessenfachklinik in Alzey und werde stationär behandelt. Bis vor kurzem hätte ich das weit von mir geschoben, hätte ich das nicht gewollt. Aber die Suizidgedanken wurden immer heftiger und dank Papa und meiner Stiefmutter habe ich mich zu diesem Schritt entschieden – bevor ich mich am Ende noch entschließe, meine Pläne tatsächlich umzusetzen, denn dann ziehe ich es wirklich durch.
Wir werden sehen, wie es weitergeht. Eines weiß ich jetzt schon: Mir geht es alleine durch die veränderte Umgebung und weil ich hier lauter Spezialisten um mich habe bereits besser. Hier sind Menschen, die selbst Depressionen haben und denen ich nicht viel erklären muss. Und es erinnert mehr an eine Jugendherberge als an eine Klinik, was ebenfalls beruhigend ist. Ich habe es mir viel „schlimmer“ vorgestellt, war aber sogar bereit, freiwillig auf eine geschlossene Station zu gehen. Diese hier ist offen. Die Mitpatienten (oder Mitbewohner?), Schwestern, Ärzte, Therapeuten und wer noch alles hier herumläft, sind alle sehr freundlich. Auch das ist anders als erwartet. Aber ich glaube, darüber berichte ich ein andermal.